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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 25.05.2007
Aktenzeichen: 2 L 28/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO
Vorschriften:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5 | |
VwGO § 166 | |
ZPO § 114 | |
ZPO § 119 Abs. 1 | |
ZPO § 404 | |
ZPO § 412 |
2. Das dem Gericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 98 VwGO i. V. m. §§ 404, 412 ZPO zustehende Ermessen wird dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. So verhält es sich, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit bereits vorliegender Gutachten - sei es im allgemeinen oder sei es mit Blick auf die besonderen Verhältnisse des konkreten Streitfalles - nicht gegeben sind, weil Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen offen erkennbare Mängel aufweisen, namentlich von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, wenn Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder wenn ihnen ein spezielles Fachwissen fehlt, das für die Beantwortung einer besonders schwierigen Fachfrage erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.10.1987- 9 C 12.87 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31; Beschl.v. 30.03.1995 - 8 B 167/94 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 48).
Gründe:
Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren zweiter Instanz hat Erfolg.
Auch nach (einseitiger) Erledigungserklärung bleibt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe möglich (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 19.08.1999 - 4 O 3009/99 -, Juris; VGH BW, Beschl. v. 22.04.1992 - 6 S 435/92 -, NVwZ-RR 1992, 442).
Die (beabsichtigte) Rechtsverfolgung der Kläger, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten und ist auch nicht mutwillig gewesen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO). Dass bereits im erstinstanzlichen Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, ist allerdings ohne Belang. Voraussetzung ist zunächst, dass der Rechtsmittelführer zur Prüfung der Erfolgsaussichten des Zulassungsantrags einen Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt hat (Beschl. d. Senats v. 18.03.2003 - 2 L 411/02 -). Da Zulassungsverfahren und Berufungsverfahren einen einheitlichen Rechtszug im Sinne von § 166 VwGO i. V. m. § 119 Abs. 1 ZPO und daher in Ansehung der Prozesskostenhilfe eine Bewilligungseinheit bilden, kommt es jedoch für die Frage der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung auf den Rechtszug insgesamt an; eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur für das Zulassungsverfahren kommt nicht in Betracht (vgl. VGH BW, Beschl. v. 29.07.1998 - 9 S 1592/98 -, DÖV 1998, 1066, m. w. Nachw.; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 166 RdNr. 4, m. w. Nachw.). Prozesskostenhilfe kann daher grundsätzlich nicht allein deswegen gewährt werden, weil ein Zulassungsantrag als solcher Erfolg versprechend erscheint, vielmehr muss auch die zuzulassende Berufung hinreichende Erfolgsaussicht bieten (vgl. VGH BW, Beschl. v. 29.07.1998, a. a. O.). Sind die Erfolgsaussichten offen, rechtfertigt dies die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (BVerfG, Beschl. v. 26.06.2003 - 1 BvR 1152/02 -, NJW 2003, 3190). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Die Kläger haben in ihrem Zulassungsantrag unter anderem einen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend gemacht, der darin bestehen soll, dass das Verwaltungsgericht kein (weiteres) Sachverständigengutachten herangezogen habe, obwohl es selbst zu der Auffassung gelangt sei, dass das vorliegende Gutachten der Klinik Schwedenstein den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten zum Nachweis der Reiseunfähigkeit des Klägers zu 1 nicht genüge.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 06.10.1987 - 9 C 12.87 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31) obliegt den Tatsachengerichten nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist. Das dabei dem Gericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 98 VwGO i. V. m. §§ 404, 412 ZPO zustehende Ermessen wird dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. So verhält es sich, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit bereits vorliegender Gutachten - sei es im allgemeinen oder sei es mit Blick auf die besonderen Verhältnisse des konkreten Streitfalles - nicht gegeben sind, weil Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen offen erkennbare Mängel aufweisen, namentlich von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, wenn Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder wenn ihnen ein spezielles Fachwissen fehlt, das für die Beantwortung einer besonders schwierigen Fachfrage erforderlich ist (BVerwG, Urt. v. 06.10.1987, a. a. O.; Beschl.v. 30.03.1995 - 8 B 167/94 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 48).
Da das Gutachten der Fachklinik Schwedenstein, das vom Beklagten auf Grund eines gerichtlichen Auflagenbeschlusses eingeholt wurde, nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht ausreichend war, um die Reisefähigkeit des Klägers zu 1 abschließend beurteilen zu können und das Gericht diese Frage auch nicht aus eigener Sachkunde beantworten konnte, spricht Einiges dafür, dass ein solcher Verfahrensmangel vorliegt. Auf einem solchen Verfahrensmangel könnte das angefochtene Urteil auch beruhen; denn es ist nicht auszuschließen, dass ein weiteres Gutachten zu einem für den Kläger zu 1 günstigen Ergebnis gekommen wäre.
Die Erfolgsaussichten eines sich anschließenden Berufungsverfahrens sind offen. Die in Betracht kommende Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass die Ausreise des Ausländers aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches oder tatsächliches Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG liegt erst dann vor, wenn dem Ausländer - über die Unmöglichkeit seiner Abschiebung hinaus - auch die freiwillige Ausreise nicht zuzumuten ist (VGH BW, Urt. v. 06.04.2005 - 11 S 2779/04; - Juris). Zu dieser Frage verhält sich das Gutachten der Fachklinik Schwedenstein nicht. Darin wird lediglich festgestellt, dass eine Suizidgefährdung bei einer angekündigten Abschiebung hinreichend wahrscheinlich sei. Auch die letzte ärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 06.11.2006 attestiert eine Suizidgefahr (nur) für den Fall der Abschiebung. Um die Frage der Reisefähigkeit bei einer freiwilligen Ausreise abschließend zu klären, bedürfte es im Berufungsverfahren voraussichtlich der Einholung eines weiteren oder ergänzenden Gutachtens.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 1 GKG und § 166 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
Ende der Entscheidung
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